In den Bergen mit einem Influencer

Was machen eigentlich Influencer, wenn sie mal nicht am Handy kleben und Selfies posten, irgendwelche Marken promoten oder sich so darstellen, als würden sie im materiellen Überfluss und maximaler Zufriedenheit leben? Sind wirklich alle so oberflächlich und nur auf Likes und Fame aus?

Was ist nur Schein und was ist effektiv harte Arbeit? Diese Frage kann ich vermutlich nicht abschliessend für alle Influencer beantworten. Doch durch einen interessanten Zufall habe ich Robin Pickis kennengelernt. Er wurde kürzlich mit dem Swiss Influencer Award 2023 in der Kategorie “Travel” ausgezeichnet und ist auf der Liste Forbes 30 under 30 zu finden. Lange bei SRF als Producer und Moderator angestellt, produziert er heute mit seiner eigenen Firma Artsome GmbH mit grossem Erfolg Social Media Content für Unternehmen sowie auch für seinen eigenen Instagramkanal “Instaswiss”.

Die Idee

Ich wollte wissen, wie viel Planung und Arbeitsaufwand hinter so einem 30 Sekunden-Video steckt, welches hunderttausende Follower auf Social Media erreicht und inspiriert. Denn wie wir herausgefunden haben, sind wir beide oft in den Bergen, mögen Outdoor-Abenteuer und so haben wir super spontan beschlossen, uns gemeinsam auf eine Tour zu begeben.

Auf seinen Kurzvideos für seinen Kanal auf Instaswiss, sieht man ihn vorwiegend in den Schweizer Bergen auf Wanderungen. Gut aussehend, langes Haar, manchmal offen, manchmal zum Dutt frisiert, bei warmen Temperaturen oben ohne und in kurzen Hosen. Mit einem guten Mix aus Fotos und Videos stellt er so Content zusammen, welcher grundsätzlich alle Interessierten in die Lage versetzt, seine Wanderung ebenfalls durchzuführen. Vom Ausgangspunkt leitet Robin einen Step by Step an bis ans Ziel.

Wir verabreden uns an einem Montag um 10 Uhr auf dem Parkplatz beim Golfclub Ybrig. Das Ziel der Wanderung ist der Fluebrig. Höchster Punkt des Fluebrig-Massiv ist der Diethelm mit 2’098m. Seine Birkenstocks tauscht er gegen Trail-Running Shoes. In seinem Rucksack hat er eine Sony Kamera mit mehreren Objektiven. Sein Iphone befestigt er an einem Gimbal und klemmt es an einen äusseren Riemen des Rucksacks fest. Die Drohne wird ebenfalls eingepackt. Letzter Check für Wasser und Verpflegung und los geht’s!

Wanderweg Fluebrig Sonne strahlt durch Bäume auf Weg

Auf den ersten Metern

Der Morgennebel, welcher das Waldstück verschleiert, wird durchdringt von Sonnenstrahlen. Es wirkt magisch.

Es liegen noch ca. 1300 Höhenmeter vor uns. Nach etwa zehn Minuten folgt ein kurzer Stop für die erste Filmsequenz.

Robin Pickis filmt mit dem Iphone

Die erste Filmsequenz

Die erste schon lohnenswerte Aussicht muss festgehalten werden. Gefilmt im Hochformat - für Social Media.

Meine Sicht

Als Robin fertig war, habe ich mir auch ein Foto gegönnt.

Unterwegs

Der Weg ist sehr steil und anstrengender als gedacht. Immer wieder ein kurzer Stopp: “Warte schnell, kannst du da nochmals durch laufen? Ist grad mega schön”. An einer kleinen Lichtung nochmals: “Wart schnell”. Wieder das Iphone, eine kurze Filmsequenz muss her. “Wow, diese Berge, der Schnee wirkt wie ein Zuckerguss oben drauf, genial”. Und weiter geht’s. Wir gehen und gehen und reden und reden. Es fühlt sich an, als kennen wir uns schon seit Jahren. Die Themen gehen von dies, das, Ananas bis hin zu Vorsorgethemen und das Leben als selbständiger Fotograf oder Influencer. Parallelen, Unterschiede, Vor- und Nachteile und überhaupt alles, was Männer sonst noch auf so Bergtouren in den Sinn kommt.

Robin Pickis fotografiert mit Sony

Baumgrenze

Der erste Schnee sorgt vor allem für unerwartete Ausrutscher beim Gehen. Robin fotografiert den Weg, welchen wir hochgegangen sind.

Wir sind schon etwas über zwei Stunden unterwegs. “Bei der Hütte oben essen wir was und ich lasse meine Drohne hoch”. Robin kennt den Weg. Er weiss genau, was wann kommt, auch wenn er noch nie da war. Seine Vorbereitung spricht für ihn. Natürlich hat er keine physische Karte dabei, er nutzt Kartenmaterial auf dem Phone - what else! Für einen wie mich, der grundsätzlich immer der Nase nach und auf Sicht geht, muss ich zugeben, ist das beeindruckend.

Auf dem Obergoss (1839m) angekommen, gibt’s das erste Sandwich. Die Aussicht ist nur schon ab da grossartig. Bäume hat es keine mehr. Die Gipfel sind nah. Nach ein paar Bissen packt er die Drohne aus und bringt sich in Position. Ich hab nur immer erahnen können, dass so ein Teil cool ist, wenn man es selber fliegt. Wenn man aber in den Bergen ungewollt von einer Drohne begrüsst wird, mit ihrem aggressiven Surren wie eine Testosteron vollgeladene Hornisse, sind diese Dinger mühsam. Doch seit ich eine solche Drohne nun selber mal geflogen bin - es hätte durchaus seinen Reiz, so ein Teil anzuschaffen.

Robin mit seiner Drohne

Das Schönste an diesem Moment heute war, dass wir die Einzigen weit und breit waren. Er konnte die Drohne fliegen lassen, ohne dummen Sprüche von anderen Wanderern zu hören. Die einzige Frage kam von mir: “Darf ich auch mal?”

Während Robin die Drohne fliegt, fange ich das Panorama ab der Hütte ein.

Bis nach oben ist es theoretisch nicht mehr weit. Aber wie immer in den Bergen, nimmt man sich Zeit und versucht heute vor allem nicht auszurutschen. Gleich haben wir’s… zumindest sollten wir schon bald den Sihlsee und weiter hinten sogar den Zürichsee zu sehen bekommen. Doch beeindruckender als die Sicht in die Weite ist der Wändlispitz (1’971m), welcher mich im ersten Moment derart faszinierte, als ich gerne hochgeklettert wäre.

Wir sind oben auf der Höhe angekommen. Links von uns der Diethelm (2’098m), rechts von uns der Turner (2’068m). Die rotweisse Markierung wechselt beim Blick zum Diethelm zu blauweiss. Das bedeutet, dass wir ab jetzt (auch wenn nur kurz) im Hochalpinen Bereich sind. Also wenn ich schon so einen anstrengenden Anstieg auf mich nehme, dann will ich ganz nach oben.

Unten links: Robin fotografiert ins Tal. Unten rechts: Eigentlich die gleiche Sicht wie ab dem Obergoss, doch weiter oben. Die Hütte ist am unteren Bildrand zu sehen. Der leicht violette Strich in der Bildmitte nennt man “Lens-Flare”. Es ist im Wesentlichen eine Reflexion, welche gerne bei Fotos mit Gegenlicht (auch gewollt) entstehen.

Der Weg zum Diethelm ist sehr schmal. Auf beiden Seiten geht es steil runter. An der Felswand hat es eine Kette, an welcher man sich festhalten kann. Das Hochsteigen scheint auf den ersten Blick extrem schwierig, ist es aber nur bedingt. Man braucht zugegebenermassen etwas an Kletter-Skills und Griffkraft… und was man nicht haben sollte, ist Höhenangst!

Robin Pickis auf dem Weg zur Besteigung des Diethelm Fluebrig

Gratwanderung

Der Weg hoch auf den Diethelm ist praktisch senkrecht.

Wir gehen einer nach dem anderen hoch. Wenn jemand schon an der Kette hängt und ein anderer von unten zieht, wird es wackelig. Die Tour soll ja Spass machen und somit ist “Safety-First” auch bei uns kein Thema, was ignoriert werden soll. Oben angekommen, wird zuerst mal abgeklatscht. Das Gefühl, die Aussicht - unbeschreiblich! Wir gehen den noch schmaleren Grat bis vor zum Gipfelkreuz, wo wir uns eintragen, warm anziehen und uns ein zweites Mal verpflegen. Ein chilliges Plätzchen ist das!

Auf dem schmalen Grat

Robin geht schon mal vor bis zum Gipfelkreuz. Ich warte, bis er mir optimal ins Bild läuft.

Wir ziehen beide unsere Jacken an. So exponiert ist es deutlich kühler. Robin macht Fotos in alle Richtungen und wechselt seine Objektive. Weitwinkel, 50mm, Tele. Er will so viele unterschiedliche Motive mit unterschiedlichem Look and Feel einfangen. Und natürlich darf die Drohne nicht fehlen. Ich wechsle vom 35mm auf das 75mm APO Objektiv um näher an die Berge zu kommen.

Unser Tagesziel wurde durch die Besteigung des Diethelms also etwas erweitert - sowohl streckenmässig als auch was die Aussicht angeht. Es hat uns beiden so gut gefallen, dass wir uns wesentlich länger dort oben aufgehalten haben, als eigentlich vorgesehen. Und wohl genau an diesem Moment war klar, dass wir beide sehr viel mehr gemeinsam haben, als erwartet.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Wo sind also die Unterschiede und wo die Gemeinsamkeiten in der Erstellung von Bildmaterial zwischen einem Influencer wie Robin und einem Fotografen wie mir?

Wir beide lieben es, draussen zu sein. Wir fotografieren beide mit modernen Kameras - er mit Sony, ich für dieses Projekt mit meiner Leica M11. Er nutzt zusätzlich eine DJI Drohne und sein Iphone für kurze Filmsequenzen. Was wir fotografieren, ist grösstenteils das Selbe - denn wer ist nicht begeistert von beeindruckenden Bergen, den schmalen Graten und den steil abfallenden Felshängen. Der Unterschied findet sich wohl in der Motivation. Seine, bei solchen Projekten, liegt darin, seinen Followern auf seinem Instagramkanal Instaswiss zu zeigen, wo sie den Trip starten müssen, was man auf dem Weg alles sieht und wo das Ziel ist. Er kann durch die Erstellung dieses Contents erstmals alle seine Interessen und Stärken der Outdoor-Fotografie mit seinem Beruf als Influencer verbinden.

Ich selber fotografiere nicht in erster Linie für Social Media. Als Portrait-Fotograf und Reise-Blogger bewirtschafte ich mehrheitlich andere Kanäle. Ich schreibe gerne Reiseberichte und sende diese an meine Newsletter-Abonnenten oder poste neue Blog-Beiträge auf Linkedin… nur selten auf Instagram, weil ich dort nicht diejenigen Leute erreiche, welche sich heutzutage noch Zeit nehmen, Blogs zu lesen.

Mich freut es, wenn ich Leute in dieser Form dazu inspirieren kann, auch zu reisen oder sich auf neue Abenteuer einzulassen. Wenn ich reise und draussen unterwegs bin, dann verfolge ich meist eigene Projekte in der Landschaftsfotografie. Fels, Wasser, Schnee und Eis ergeben Bildkompositionen, welche mich sehr faszinieren. Diese Eindrücke dann als grosse Prints an Interessierte zu verkaufen und zu wissen, dass meine Werke ihren Weg an Wände findet, erfüllt mich jedes Mal aufs Neue mit viel Freude und Zufriedenheit.

Bilder unten, zur Abwechslung in schwarzweiss: Meine Ausbeute ab dem Diethelm.

Ecken und Kanten.

Der Berg Turner Fluebrig

Der Blick zum Turner (2’068m)

So nah am Abgrund zu stehen, mit freier Sicht auf die Berge, ist ein unbeschreibliches Gefühl.

Dieses Bild ist als Postkarte erhältlich - hier geht’s zur Grusskarten-Galerie:

Und nun geht’s den gleichen Weg wieder runter - was meist schwieriger als der Aufstieg und bei diesem Grad an Steilheit auch nicht ungefährlich ist.

Der Aufwand

Nach so einem langen Tag, kommen wir beide vermutlich gleich müde nach Hause. Auch wenn er meinte, er könne mich auf den letzten 400 Metern Huckepack nehmen. Unser Altersunterschied von klitzekleinen 15 Jahren bedeutet noch lange nicht, dass ich mit 45 eine Gehhilfe brauche. Zudem war ich im hochalpinen Bereich bei der Kletterpartie sowohl schneller oben und auch wieder unten… nennt sich Experience, Bro!

Im Unterschied zu Robin, habe ich nur Fotos, die ich aussortieren muss und nachbearbeiten will. Das kostet mich für so ein Projekt gut einen halben Tag Arbeit. Danach die Fotos in die Clouds hochladen und allenfalls die coolsten Bilder drucken. Es gibt kaum was Schöneres, als Bilder in Grossformat zu drucken… anfassen, was man gemacht hat ist wesentlich schöner, als es bloss auf dem Phone zu haben und in etwas mehr als Briefmarkengrösse zu begutachten.

Doch Robin ist nach einem halben Tag Arbeit erst mit der Vorbereitung für so ein Trip fertig. Während ich also kaum plane und wenn, dann mir mehrheitlich von meiner Frau die Routen durchgeben lasse, macht Robin alles selber. Wie er mir sagte, beginnt alles oftmals auf dem Sofa. Bis spät in die Nacht auf der Suche nach einer neuen Tour, über die er berichten könnte.

Wer plant, kann improvisieren (wer nicht plant, muss)

Robin auf der Suche nach neuen Touren. Mehrheitlich macht er das am Phone. Was aussieht wie am Handy kleben ist in seinem Fall fundierte Recherche.

Bildbearbeitung wie auch ich sie kenne, doch bei Robin kommt noch das Zusammenschneiden von Filmsequenzen sowie Ton und Besprechen hinzu. Für mich nach wie vor eine unvorstellbare Tätigkeit. Beeindruckend, was er alles macht und kann. Der Aufwand für ein solches Projekt - den Bergtag eingerechnet - beträgt für Robin gute drei Tage.

Die andere Seite der Medaille

Ein nicht wirklich neues Phänomen, aber ein alltägliches für Influencer, sind die teilweise heftigen Hass-Kommentare. Gewisse Leute nützen die Anonymität des Internets, um fiese, beleidigende und zum Teil bös gemeinte Kritik anzubringen. Wenn man die Kommentare bei einigen seiner Posts liest, sieht man solche wie “wegen dir kommen jetzt alle Touristen an diese schönen Orte”…. “musstest du den letzten Secret-Spot auf Social Media posten”…"hör auf damit Robin und such dir einen richtigen Job”… “scheiss Influencer!”… “nur wegen den Likes” u.v.m.

Robin Pickis in der Küche

Keeping The Focus

Dankbare Feedbacks sind ein grossartiges Gefühl und ein Treiber, auf dem Weg weiterzumachen, weiterzugehen.

Hasskommentare sind unangenehm, verletzend, frustrierend und wegen der Internet-Anonymität, können sie einem ein Gefühl von Ohnmacht geben.

Die Kunst besteht wohl darin, diese Kommentare als das zu betrachten was sie sind: Bloss Kommentare. Doch gibt es bei all diesen Kommentaren auch berechtigte Kritik? Ist es tatsächlich so, dass wegen Influencern wie Robin nun alle seine geposteten Flecken in der Schweiz komplett überlaufen werden und die Leute in Scharen auf Wanderschaft gehen? Wohl kaum!

Klar, wer nach Zermatt oder aufs Jungfraujoch geht, dort ist es tatsächlich überlaufen. Aber das liegt nicht an Robin. Das liegt an der Möglichkeit, solche Orte direkt mit dem Bähnli zu besuchen - ohne jegliche Anstrengung. Geld gegen Aussicht. Ich behaupte mal, dass schon über 80% unserer Bevölkerung viel zu faul geworden ist, ihren Allerwertesten überhaupt auf einen Berg - den man zu Fuss besteigen muss - hochzubringen. Ist nämlich anstrengend. Teilweise sehr sogar… und zeitintensiv!

Es wird heute wohl mehr um der Kritik Willen kritisiert. Wenn man sonst keine Sorgen hat, dann macht man sich welche… und lässt den ganzen Frust über Social Media raus - undifferenziert und unüberlegt. Wenn da jetzt aber ein junger Typ mit seinem Content den Swiss Influencer Award 2023 gewinnt, könnte man ja zur Abwechslung mal damit starten, ihm den Erfolg zu gönnen! Auf eine so coole, frische und einfache Art die Menschen dazu bewegen, wieder mehr die Natur entdecken zu gehen, anstatt am Handy zu kleben, hat mich beeindruckt.

Ich, der grosser Fan vom hohen Norden bin und bis heute verhältnismässig nur wenig von unserer Bergwelt in dieser Form, wie mit Robin, erforscht habe, werde bestimmt des Öfteren so etwas machen. Ich sah den Mount Everest vor dem Matterhorn. Höchste Zeit, Neues vor der Haustüre zu entdecken.

Wir sind Suchende

Ehrlich gesagt bin ich froh, kein Influencer wie Robin zu sein. Meine Reichweite hält sich in Grenzen und geht vor allem an die Leute, die mich - auch über Ecken - persönlich kennen. Hasskommentare oder anderen Shitstorm wegen eines Posts habe ich zum Glück noch nie erfahren.

Unsere grösste Gemeinsamkeit ist wohl das Bedürfnis der Suche nach dem faszinierenden Etwas, welches wir mit unseren Kameras einfangen können. Emotional fühlen wir bei solch einer Tour höchstwahrscheinlich das Selbe. Die Verwendung der Bilder ist bei beiden vorhanden, auch wenn zu unterschiedlichen Zwecken. Ich wage zu behaupten, dass wir uns beide in erster Linie solche Anstrengungen auch wegen der Belohnung antun. Das belohnt werden für die Aussicht, für die Erfahrung, für die Anstrengung, für das Empfinden von tiefer Zufriedenheit in der Natur, welche diese Welt uns zu bieten hat.

Danke Robin für die Einblicke in dein Leben als Influencer und den Muskelkater in den Oberschenkeln. Vielleicht komme ich beim nächsten Mal auf dein Huckepack-Angebot zurück!

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