Gletscher - die vergänglichen Giganten

Ein Tag auf dem Gletscher für 52 Sekunden

Es begann mit einer einfachen Frage. Ob ich wisse, wo man in der Schweiz in einer eisigen Umgebung ein Video drehen könne. Mein Freund Alex, Fotograf, Filmer und Parfümproduzent, suchte eine eindrucksvolle Kulisse für seinen neuen Werbefilm. Ohne lange nachzudenken, fiel mir der Morteratschgletscher ein – ein Ort, den ich bereits bei einem Gletscherkurs im Jahr 2021 kennengelernt hatte. Diese Tour, damals mit Bergführer, hatte mir nicht nur die Basics des Gletscherwanderns gelehrt, sondern auch, wie man sich in dieser vergänglichen und nicht ganz ungefährlichen Welt sicher bewegt.

Die Mission war also klar: Alex wollte ein Werbevideo für sein Parfüm drehen. Und obwohl ich anfänglich dachte, ich sei bei diesem Projekt nur der Guide und Aufpasser, sagte er mir: “Und du bist heute mein Model”! Ich? Model? Eine für mich äusserst ungewohnte Rolle - doch es gab kein Zurück mehr und ich nahm die Herausforderung an.

“Alex, hast du denn bergtaugliche Schuhe und Kleidung?”, fragte ich. Und die Antwort kam prompt: “Klar habe ich Schuhe… mit Vibram-Sohlen!” Wie sich dann schnell herausstellte, kam Alex - der Cityboy - ganz und gar nicht bergtauglich ausgerüstet an den Start. Knöchelhohe Stadtlederschuhe, Jeans und eine viel zu dicke Jacke, die sich im Grunde höchstens für eine Expedition in die Antarktis eignen würde - und eine Schachtel Zigaretten, welche auch nicht fehlen durfte.

Alexander Maag mit Zigarette und Lederschuhen

Kann man machen

Alex gehört zu der Sorte, die sich - einmal eine Idee in den Kopf gesetzt - auf keinen Fall auch nur ansatzweise von ihren Vorhaben abbringen lassen… eine äusserst beeindruckende Eigenschaft, finde ich.

Zum schmelzenden Giganten

Der Morteratschgletscher, nahe Pontresina gelegen, ist sichtbar gezeichnet vom Klimawandel. Gemäss einer Studie der ETH, hat der Gletscher seit dem Beginn der jährlichen Längenmessungen im Jahr 1878 etwa 2,5 Kilometer an Länge verloren. Zwischen 1900 und 1960 allein büsste die Gletscherzunge über einen Kilometer ein. Diese dramatische Veränderung spiegelt sich auch im Volumen der Schweizer Gletscher wieder, das zwischen 1931 und 2016 halbiert wurde. Diese Fakten machen den Morteratschgletscher zu einem eindrucksvollen Ort, der die Vergänglichkeit der Natur verdeutlicht.

Wir wanderten vom Parkplatz Morteratsch los. Etwas mehr als eine Stunde sollte die Wanderung bis zur ersten Höhle dauern. Doch wir brauchten wesentlich länger - fast doppelt so lang. Während ich minimalistisch mit meiner Leica M11, etwas Verpflegung und genügend Wasser im Rucksack unterwegs war, schleppte Alex sein gesamtes Studio den Gletscher hinauf: Blitzlampen, Softboxen Stative, Kameras. Das ist eben Alex - nichts bringt ihn vom Kurs ab.

Das blaue Gewölbe

Bei unserer Ankunft in der ersten Eishöhle waren wir beeindruckt, doch die Höhle war für Filmaufnahmen wenig geeignet und zudem übersät mit anderen Berggängern. Meine im Vorfeld getätigten Recherchen hatten ergeben, dass es derzeit insgesamt vier Eishöhlen auf dem Gletscher gibt, die zwar nahe beieinander liegen, aber nicht alle gleich gut zugänglich sind. Ich überredete Alex, weiterzugehen – zur nächsten Höhle.

Dort fanden wir ein gewaltiges, blau schimmerndes Gewölbe aus purem Eis vor. Es war wie ein grosser Tunnel, der uns in eine kalte, eisige Welt entführte. Bei einem solchen Anblick fehlen einem vor lauter Staunen schon mal die Worte.

Die grösste Eishöhle auf dem Morteratschgletscher ist von beiden Seiten her durchgängig

Die Eisdecke in dieser Höhle war wirklich von atemberaubender Schönheit. Keine dieser Eiswellen ist gleich - und im Eis sind immer wieder verschiedene Strukturen zu sehen. Das Licht, das durch den Schnee vor der Höhle zusätzlich reflektiert wurde, verlieh dem Gewölbe einzigartige Strukturen. Die Farbverläufe wechselten fliessend zwischen Schwarz, Blau und Weiss.

Film ab

Hier begann Alex zu filmen und Fotos zu machen, während sich um uns herum immer wieder neugierige Zuschauer versammelten. Als Fotograf war es für mich einzigartig, einmal vor der Kamera zu stehen und zu erleben, wie es ist, von einem Profi fotografiert bzw. gefilmt zu werden. Er nutze kleine LED Lampen als auch Blitze, um das Eis oder überhaupt die Szene speziell zu beleuchten. Ich muss zugeben, ich konnte mir nicht mal ansatzweise vorstellen, was in seinem Kopf vorging. Immer wieder gab er mir Anweisungen und drehte nur kurze Sequenzen - nochmals, so rum, anders, mach dies, jetzt das.

Kurz nach Mittag verliess ich die Höhle auf der anderen Seite und sah zu, wie die Sonne das Eis zum Schmelzen brachte. Am Eingang tropfte das Wasser wie in einer Autowaschanlage herunter. Steine, die im Gletscher eingeschlossen waren, lösten sich gelegentlich und stürzten vor den Höhleneingang. Nicht ungefährlich. Mir wurde zunehmend mulmig, denn die Nachmittagssonne prallte voll an die Fassade und gut ausgerüstete Bergler sagten mir: "Also da isch bald fertig." Die hohen Temperaturen werden wohl eher früher als später auch diese gigantische Höhle zum Einsturz bringen. Dennoch blieben die meisten Besucher genau in diesem leicht zugänglicher Bereich der Höhle stehen. Ich weiss nicht, woran es lag, doch ab dem Zeitpunkt, an dem Steine regelmässig herunterfallen, müsste doch jedem klar sein, dass dort nicht der richtige Ort ist, um länger zu verweilen. Ich musste zum Glück nur auf Alex und mich aufpassen. Und so ging es weiter den Gletscher hoch zur nächsten Höhle.

Da, wo niemand mehr ist

Wir folgten den Spuren im Schnee und sahen zuerst nur eine kleine Öffnung. Inzwischen war es wieder etwas kälter geworden. Wolken zogen auf, und die Leute schienen sich nicht für diese Höhle zu interessieren, sondern begannen, den Weg zurück anzutreten.

Auf dem Morteratsch Gletscher mit Sicht auf den Piz Palü

Blick auf den Piz Palü

Wir standen am Eingang der dritten Höhle. Die Fussspuren führten eigentlich an diesen Eisbrocken vorbei. Doch es gibt immer einen Weg rein - und dieser sollte sich auf alle Fälle lohnen!

Wir liessen unsere Rucksäcke draussen stehen und zwängten uns mit umgehängten Kameras vorsichtig hinein.

The Exit Strategy

In dieser Höhle wurde mir bewusst, wie es sich anfühlen muss, wenn man in eine Gletscherspalte fällt. Man sieht vielleicht noch hinaus, doch wie kommt man ohne Pickel und Steigeisen wieder raus – wenn man nicht angeseilt ist? Hoffnung? Mir schien daher für dieses Bild der Name The Exit Strategy sehr passend.

Manchmal fühlen wir uns eingeklemmt, sehen zwar den Ausgang, aber der Weg nach draussen scheint mühsam und vielleicht sogar unerreichbar zu sein – wir sind gelähmt und ohnmächtig oder einfach nur faul, die notwendigen Schritte zu unternehmen. Und man redet sich ein, dass es doch eigentlich OK ist, so wie ist ist. Schliesslich muss es draussen ja nicht zwingend besser sein, als wo man gerade ist.

Egal welchen Weg man wählt, ob rein oder raus, beide Wege sind mit Risiken verbunden. Die Frage ist, welches Risiko ich bereit bin, einzugehen und bin ich mir der Konsequenzen bewusst? Risiken gehören schlicht und einfach dazu. Egal ob bei solchen Projekten oder überhaupt im Leben. Eine gute Vorbereitung ist sicherlich hilfreich und kann unnötige Risiken minimieren. Doch am Schluss muss man sich bewegen und Entscheidungen treffen. Und wir haben uns entschieden, entschieden reinzugehen und wurden reichlich belohnt mit einem atemberaubenden Anblick von tiefblauen Eisformationen, die je nach Lichteinfall und Position, in welcher wir uns befanden, anders wirkten.

Frédéric Diserens mit seiner Leica M11 in einer Eishöhle im Morteratschgletscher

Mit der Leica M11 im Eis

Bei meinem letzten Besuch hier auf dem Morteratschgletscher, schleppte ich - wie Alex - zu viel mit mir rum. Gewicht ist auf solchen Touren schon ziemlich wesentlich. Meine M11 hat sich einmal mehr als ideale Begleiterin bewiesen.

Das Parfüm Yachting in Space von Alex Maag - Creative House - im ewigen Eis

Das Parfüm - Yachting in Space

Ein kleines Loch mit Lichteinfall und das Parfüm Yachting in Space. Bildmaterial wie im Studio, jedoch aufgenommen in den Tiefen des Gletschers.

Schonungslose Vergänglichkeit

Für Alex und mich war dies ein Tag, den wir so schnell nicht wieder vergessen werden. Denn so wie diese Aufnahmen entstanden sind, werden sie nie mehr wieder möglich sein. “Panta Rhei” - alles fliesst! Sogar das scheinbar ewige Eis ist in seiner Schönheit – wie alles andere auf der Welt auch – der Kraft der Vergänglichkeit schonungslos unterworfen.

Momente wie in diesen Eishöhlen auf dem Morteratschgletscher führen uns vor Augen, dass nichts bleibt, wie es ist. Die Eishöhlen, die heute noch imposant wirken, werden morgen schon Geschichte sein. Genau deshalb liebe ich die Fotografie. Sie hält (meine) Erinnerungen fest, verleiht vergänglichen Momenten eine gewisse Ewigkeit und sie erlaubt mir, diese mit euch zu teilen.

Und hier geht’s noch zum Video:

Das Dreamteam auf dem Morteratsch Gletscher bei dein Eishöhlen

Das Team

Alexander Maag, kreatives Mastermind, Parfümeur und Gründer von Creative House.

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Der Traum vom roten Haus in Schwedisch Lappland